Mit den 24 für die 6-Tage-Woche vorgesehenen Urlaubstagen im Jahr gehören die Deutschen fraglos zu den weltweiten Spitzenreitern. Den Hals können sie scheint’s aber dennoch nicht voll genug kriegen, hält doch das Gros der Beschäftigten 8 Wochen Urlaub für eine angemessene Work-Life-Balance. Insofern folgt Virgin-Chef Sir Richard Branson bloß dem Ruf der Zeit, wenn er seinen Mitarbeitern unbegrenzten Urlaub einräumt. Allein auf weiter Flur steht er damit allerdings nicht. So tun es ihm etliche Silicon-Valley-Start-ups gleich.
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Abschalten mit Arbeit?
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Sir Richard Branson wie kein Zweiter die Religion des Erlebens* vertritt. Devise: Wer hart arbeitet, muss sich auch anständig erholen. Und in der Tat setzt die großzügige Handhabung der Urlaubsregelung zwingend voraus, dass durch den Freizeitkonsum die Arbeit nicht zu kurz kommt. Berichten zufolge dräut diese Gefahr aber ohnehin nicht. Überraschenderweise hat sich an den Urlaubsgewohnheiten der Virgin-Mitarbeiter nämlich nichts geändert. Im Gegenteil. De facto wird seit der Neuregelung gar weniger konsumiert.
Würden die Deutschen angemessen entschädigt, wäre auch ein Drittel von ihnen bereit, auf einen Gutteil des Urlaubs zu verzichten und ihn gegen Bares zu veräußern. Dieses Ergebnis einer Erhebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Urlaubsverzicht vornehmlich der chronischen Unterbezahlung und damit der angespannten Finanzlage des Einzelnen geschuldet ist.
Zyniker könnten sich bemüßigt fühlen, einschlägige Studien zu bemühen, die dem Urlaub das denkbar schlechteste Zeugnis ausstellen. Dieser Schluss drängt sich einem unweigerlich auf, wenn 40 Prozent der Urlauber ein Stimmungshoch fremd ist und namentlich jeder zweite USA-Reisende über Erschöpfung klagt. Und wer im Bann des 2021 verschiedenen ungarischen Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi steht und sich zur Gänze dem Flow verschrieben hat, hat von vornherein mit dem Urlaub nichts am Hut. Dies erhellt aus der Tatsache, dass nur 17 Prozent der Probanden des Psychologen auf Wolke sieben schwebten, wenn sie sich dem Müßiggang verschrieben und dem Arbeitsalltag den Rücken kehrten. Hatten seine Manager, Ingenieure und Büroangestellten hingegen alle Hände voll zu tun, fühlte sich jeder zweite von ihnen pudelwohl. Fazit: Arbeit macht glücklich, Urlaub ist verpönt. Insofern ist es nicht verkehrt, Csikszentmihalyi als Verfechter des Überlebens und Ablebens* abzutun, einer Philosophie, die wahrlich nicht nach jedermanns Geschmack ist.
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Nun hat aber auch niemand behauptet, dass Urlaub und Psychologie leicht auf einen Nenner zu bringen sind. Warum in Urlaub fahren, wenn für 60 Prozent der 2018 von SAP Concur befragten 1053 Deutschen die Arbeit mitreist? So schlugen sich 50 Prozent dieser Arbeitstiere mit E-Mails herum und klinkten sich 17 Prozent gar bereitwillig in Telefonkonferenzen ein.
Zu Hause oder fern der Heimat?
Carmen Binnewies, die Professorin für Arbeitspsychologie an der Uni Münster, hält es prinzipiell für ratsam, zu verreisen. Ein Ortswechsel bietet sich naturgemäß besser an, um vom Stress der vertrauten Umgebung abzuschalten. Allerdings gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg für diese Empfehlung. Insofern vermag sich ebenso gut zu erholen, wer die Füße in den See vor seiner Hütte baumeln lässt.
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Entscheidend ist vielmehr, im Urlaub etwas zu tun, wonach die Persönlichkeit förmlich schreit, weil der Berufsalltag dafür keinen Platz hat. Insofern ist ein an sich durch und durch gesprächiger Informatiker gut beraten, wenigstens in seinen Ferien die Fesseln des Bildschirms abzuschütteln und aktiv den Kontakt zu Menschen zu suchen. Womöglich ist er drum mit einer Pilgerreise gut bedient*. Oder er sucht mit einer Wandergruppe im Himalaya das unvergessliche Erlebnis. Dafür bleibt das Handy zu Hause. Wer sich nämlich im Urlaub zu sehr der nonverbalen Kommunikation verschreibt, hat, so Binnewies, nachweislich weniger vom Urlaub.
Urlaub ein veritabler Krankmacher?
Es wäre jammerschade, wenn sich unliebsame Urlaubserfahrungen zu einem unverrückbaren »Urlaub stresst mich« mausern würden und irgendwann Reisen in ferne Länder nicht länger infrage kämen. Denn, so eine Langzeitstudie von US-Forschern an 12.000 Menschen: Weniger Urlaub erhöht das Risiko, an einem Herzinfarkt zu krepieren.
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Nicht ausgeschlossen ist freilich, dass sich ausgerechnet der Urlaub als Krankmacher* entpuppt. Das heißt, so ist das nicht ganz richtig. Fakt ist vielmehr, dass die Betroffenen längst vor Reiseantritt krank sind und ihre Wehwehchen haben. Nur spielt ihnen das Stresshormon einen Streich. Im Stress laufen diese Menschen auf Hochtouren und nehmen von ihren chronischen Leiden keine Notiz. Kaum pflanzen sie sich aber in den Sonnenstuhl auf den Kaimaninseln, macht das Stresshormon schlapp. Fazit: Der Rücken schmerzt, die Nase rinnt, der Hals kratzt.
Evolutionsbiologisch macht diese Eigenart, die Wissenschaftler der niederländischen Universität Tilburg eingehend untersucht haben, absolut Sinn. Immerhin hat der Mensch auf der Flucht zu funktionieren. Seine Überlebenschancen steigen um ein Bedeutendes, wenn ihm der Stress ein X für ein U vormacht und unnötige Schmerzen erspart.
Kurztrip angesagt?
Für den Abstand zwischen einem Urlaub und dem nächsten gibt es so wenig wissenschaftliche Richtlinien wie für die Dauer der Arbeitspause. Ob jemand 1 oder 2 Wochen Urlaub macht, ist für den Erholungsgrad belanglos, solange die Zeit ohne Arbeit mit Lieblingsbeschäftigungen aufgefüllt wird. Und wenn sich der Mensch nach 3 Wochen Urlaub nicht erholt fühlt, könnte Thomas Rigotti, Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Mainz, recht haben. Für ihn sind 2 Wochen Urlaub das höchste der Gefühle.
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An sich halten Arbeitspsychologen aber generell mehrere übers Jahr verteilte Kurztrips für den Urlaub mit dem höchsten Erholungswert. Im Eventtourismus ist die Spontanität zwar nicht drin, dafür genügt für den Städtetourismus die spontane Buchung von Flug und Hotel. Noch vermögen die Deutschen diesem Ansinnen wenig abzugewinnen. Allerdings neigen auch sie vermehrt zu kürzeren Trips. Zumindest haben sie Anfang der 1980er-Jahre noch im Schnitt 18 Tage am Stück Urlaub gemacht, während es zur Stunde lediglich 13 Tage sind.
Langzeiteffekt eine Utopie?
Die KKH Kaufmännische Krankenkasse stellte 2018 fest, dass für 50 Prozent der 1000 18- bis 70-jährigen Befragten der Erholungseffekt des Urlaubs nach nur wenigen Tagen futsch war. Wenn Arbeitspsychologin Binnewies den Erholungseffekt auf 1 bis 3 Wochen taxiert, hat sie ihre Gründe. Immerhin verpufft, so die Wissenschaftlerin, das Urlaubsgefühl umso rascher, je stressiger sich der Wiedereintritt in die Arbeitswelt gestaltet. Erschlagen die Mitarbeiter den Urlaubsrückkehrer demnach mit E-Mails, Telefonanfragen und Meetings bereits am ersten Arbeitstag, muss die Erholung zwangsläufig im Nu flöten gehen und der Stress alter Tage umgehend wieder das Zepter schwingen. Retten kann der Urlaubsrückkehrer ein Stück Urlaubsfrische dann nur noch, wenn er sich im Stande sieht, wenigstens nach Feierabend richtig abzuschalten.
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