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Collin Coel

Zoom-Fatigue: Die Videoschalte stresst

Aktualisiert: 29. Mai 2024

Seit der Corona-Krise diktieren Videokonferenzen den Wirtschaftsalltag. Und wenn nicht alle Zeichen trügen, wird sich an dieser neuen Normalität so schnell nichts ändern. Jedenfalls haben 38 Prozent der 1065 Deutschen einer YouGov-Umfrage im Mai 2021 behauptet, mit dem Videokonferenz-Tool Zoom bestens vertraut zu sein. Dass die unzähligen Videochats nicht nur Zeit und Kosten sparen, sondern ungemein kräftezehrend sind, wird den Chattern nach und nach schmerzlich bewusst. War erst nur vom Technostress und der SNS-Fatigue die Rede, macht den Technofreaks nun auch die Zoom-Fatigue zu schaffen.


Konferenzraum mit 5 Personen und einer Videokonferenzteilnehmerin

Quelle: DCStudio auf Freepik | Designed by Freepik


Zahlen lügen nicht: Videochats en vogue


Zoom als Namenspatron


Nicht allen behagt, dass die Müdigkeit, die Videokonferenzteilnehmer befällt, nach dem bekannten US-Anbieter Zoom benannt ist. Vielmehr würden sie es begrüßen, wenn fortan von Concentration Fatigue die Rede wäre. Immerhin fallen die notorischen Chatter auch mit sämtlichen Konkurrenzprodukten unweigerlich von den Kräften und leidet ihre Konzentration massiv unter dem Einfluss von zu vielen Online-Meetings. Zoom hat jedenfalls keinen Grund zur Klage, neuerdings Aushängeschild eines Begleitübels der Lockdowns zu sein. Die Aktie des kalifornischen Unternehmens ist gefragter denn je. So stiegen die Umsätze gemessen am Vorjahr von 622,66 Mio. USD auf 2.651,37 Mio. USD, womit der unverwässerte Gewinn der Aktie von 0,09 USD auf 2,37 USD schnellte. Gleichzeitig erhöhte sich die Zahl der Mitarbeiter im Jahr 2021 um 1890 auf 4422. Die Übernahme von Five9, eines auf die Cloud spezialisierten Call-Centers, ist zwar geplatzt, an der Nasdaq hat das Zoom-Papier des ungeachtet um 2,3 Prozent zugelegt und wurde zu einem Kurs von 267,51 USD gehandelt.


Zoom Börsengang Nasdaq

Quelle: Eric S. Yuan auf Twitter


Die Konkurrenz schläft nicht


Nachdem Videokonferenzen mit COVID-19 gekommen sind, um zu bleiben, steht die Konkurrenz Schlange. Neben GoToMeeting, Lifesize, BlueJeansMeetings und Avaya sind es vor allen Dingen die Tech-Riesen Microsoft, Cisco, Google und Amazon, die den Markt aufmischen. Für 2027 wird ein Marktvolumen von 10,92 Mrd. USD erwartet. Schon jetzt nutzen täglich 145 Mio. Menschen aktiv Microsoft Teams und verweist der Apple App Store auf stolze 7,93 Mio. Downloads von ZOOM Cloud Meetings. Wenn 67 Prozent der Unternehmen auf Videokonferenzen setzen und 19 Prozent der Privatpersonen 5 bis 9 Stunden pro Woche Videogespräche führen, erübrigen sich weitere Worte. Speziell Letztere dürften Zoom & Co ungemein dankbar sein, nachdem ihnen in Zeiten von Corona Depressionen erspart bleiben, der Videochat ein Stück Lebensqualität* also ins Haus liefert und gegen die Vereinsamung schützt.


Frauen Hauptleidtragende der nonverbalen Mechanismen


An sich bestreiten Frauen nicht mehr Videokonferenzen als Männer, nur verweilen sie länger vor dem Schirm und gönnen sich weniger Pausen, wie Untersuchungen von US-Forschern an 10.591 Personen ergaben. Dieser höheren Burstiness (= Menge der mit Unterbrechungen in Schüben, sprich Bursts, vermittelten Daten) mag zwar unter anderem die Zoom-Müdigkeit geschuldet sein, erklärt aber mitnichten, warum 13,8 Prozent der Frauen und nur 5,5 Prozent der Männer darunter leiden. Fakt ist dafür, dass Frauen generell mit allen nonverbalen Mechanismen des Videochats ihre liebe Not haben.


Afroamerikanerin in Büro als Teilnehmerin einer Videokonferenz

Quelle: DCStudio auf Freepik | Designed by Freepik


• Spiegelangst


Es überrascht nicht, dass bei der Zoom-Fatigue der Spiegel eine maßgebliche Rolle spielt. Schließlich ist es nicht jedermanns Sache, mitunter stundenlang die eigene Visage allen Konferenzteilnehmern zur Begutachtung zu überlassen. Während sich aber selten ein Mann unattraktiv findet, fehlt es vielen Frauen am nötigen Selbstbewusstsein. Folglich kreisen ihre Gedanken faktisch unentwegt um die möglichst vorteilhafte Präsentation ihrer Person.


• Gefühl der Gefangenschaft


Wer den Härteschlag der sozialen Isolation* am eigenen Leib erlebt, kennt das beklemmende Gefühl, gefangen zu sein, nur allzu gut. Paradoxerweise beschleicht ebendieses unangenehme Gefühl mitunter aber auch jene, die sich der vollen Aufmerksamkeit ihres Umfelds erfreuen und, wie in Videokonferenzen, alle Augen auf sich gerichtet haben. Dies deshalb, weil der Videochat naturgemäß die Mobilität ungemein einschränkt. Während persönliche Treffen erlauben, dass Menschen nach Belieben auf und ab gehen, duldet die Videokonferenz keine Entfernung aus dem Fokus des Blickfelds. Das Interessante daran ist nun, dass Frauen diese Gefangenschaft als größeren Stressor empfinden als die Spiegelangst.


• Hyperblick


Stets hat der geübte Redner in persönlichen Meetings nur eine Person im Visier, um an ihren Reaktionen die Wirkung seiner Worte zu testen. Die Videokonferenz fährt hingegen mit den Gesichtern aller Teilnehmer auf, gestattet nicht, sich ihren Blicken zu entziehen, und lässt von daher keinen Zweifel an der allgemeinen Stimmungslage. Dieses unmittelbare Gesamtfeedback belastet Frauen stärker als Männer.


• Erhöhter Handlungsbedarf


Mal hapert es an der Tonqualität, mal an der Bildqualität. Und immer kriegt der Redner sein Fett ab. Unausgesetzt bedarf es einschlägiger Rückfragen, um sich der Qualität der Übertragung zu versichern und den Frust des Publikums im Zaum zu halten. Dabei ist damit nicht einmal die Gefahr gebannt, dass nicht doch die Wortmeldung auf halber Strecke verloren geht oder ein unvorteilhafter optischer Eindruck entsteht. Immerhin trudeln die Reaktionen der Konferenzteilnehmer durch die Latenz der Übertragung regelmäßig verspätet ein.


• Interpretationsschwierigkeiten


Dass der Blick hinter die Kulissen* im Wirtschafts- und Justizalltag über Sein oder Nichtsein entscheidet, ist wahrlich nichts Neues. Während aber in der persönlichen Begegnung nonverbale Hinweise wie Mimik und Gestik eine bessere Einschätzung der Situation erlauben, fehlen in der Videokonferenz Interpretationshilfen dieser Art. Zumindest fällt es einem erheblich schwerer, mit der Deutung der Körpersprache bei Zoom & Co ohne hohen Energieverschleiß zu punkten. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht selten der ungewohnte Hintergrund von der Person ablenkt und nach erhöhter Konzentration schreit. Irritierend mag hingegen sein, dass einen alle Welt sieht, aber niemand ansieht. Der direkte Blick in die Kamera wäre zwar die Lösung dieses Problems, dafür wäre aber der Rest der Konferenzteilnehmer in diesem Fall nur mehr verschwommen wahrnehmbar.


Der Technik sei Dank: Abhilfe durch Apple und Microsoft


Die Eye-Contact-Funktion


Für den direkten Blickkontakt der Videokonferenzteilnehmer sorgt die Augenkontaktfunktion in FaceTime. Was Apple in den Beta-Versionen von iOS 13 noch getestet hat, wurde mit iOS 14 offiziell. Die Funktion ist standardmäßig aktiviert und muss bei Missfallen explizit deaktiviert werden. Nicht jedem behagt diese trügerische Augenpositionierung. Sie ist allerdings ohnehin bloß für ausgewählte iPhones verfügbar, nachdem das iPhone zwingend mit ARKit, Apples Technologie-Baustein für Augmented-Reality-Anwendungen, aufwarten muss.


Smartphone mit Veranschaulichung der Augenkontaktfunktion

Quelle: AppleInsider auf Twitter


Der Together-Mode


Womöglich ist der virtuellen Müdigkeit mit Microsofts Together-Mode besser beizukommen. So räumt Microsoft Teams mit der nervigen Kacheloptik auf und platziert mithilfe von künstlicher Intelligenz die Konferenzteilnehmer in einem virtuellen Raum. Die Versammlung in einer virtuellen Bibliothek oder einem virtuellen Hörsaal mag zwar den Anstrich eines Videospiels haben, erfahrungsgemäß sorgt Trick siebzehn aber für jene Zugehörigkeit, nach der in Zeiten von Corona alle Welt lechzt.

Verhaltensänderung angezeigt: Nützliche Tipps


(1) Es versteht sich von selbst, dass Videokonferenzen die volle Aufmerksamkeit erfordern. Wer mithin nicht Raubbau mit seiner Gesundheit* treiben und den vollen Nutzen aus einem Online-Meeting ziehen will, hat mit Multitasking nichts am Hut.

(2) Als Faustregel gilt, Besprechungen, wenn irgend möglich, auf 45 Minuten zu beschränken. Sollten sie länger dauern, sind 10-Minuten-Pausen angezeigt. Mehr als 4 Stunden pro Tag sind den Konferenzteilnehmern allerdings nicht zuzumuten.

(3) Weniger ist allemal mehr. Der Verzicht auf Bücherregale im Hintergrund und lärmende Kinder im Vordergrund bürgt mithin für das erwünschte Mindestmaß an Ablenkung.

(4) Überhaupt sollten sich Videokonferenzen in Grenzen halten. Was sich fernmündlich regeln lässt, ist besser in Telefonaten aufgehoben.


* Unbezahlter Weblink (Eigenwerbung)

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